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«Keine Gefahr» trotz nur sporadischen Kontrollen?

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Cäsium-Spuren in einem See, der auch als Trinkwasserreservoir dient, wirft nicht nur die Frage nach der Herkunft des Cäsiums auf. Es stellt sich vor allem die Frage nach dem, was bei der Trinkwasseraufbereitung überwacht wird – oder auch nicht. Pikant: Gemäss ENSI hatte das AKW Mühleberg ihre Messungen auch im 2012 nicht im Griff. 

Ein Zufallsfund soll das im Bielersee gefundene Cäsium gewesen sein, schreiben SonntagsZeitung und Le Matin Dimanche in ihrer letzten Ausgabe – sofern man an Zufälle glaubt. Nach den Sedimentkernen wurde gebohrt, um nach den Aare-Hochwassern zu forschen. Was sich die Genfer Forscher dabei zu finden erhofften, bleibt für die sonntägliche Leserschaft indes weiterhin offen.

Warum so viel Zeit bis zur Veröffentlichung?

Ebenso offen bleibt die Frage, warum erst jetzt bekannt wird, dass da offensichtlich in einem übermässigen Mass das bei der Kernspaltung von Uran entstehende Cäsium in den Bielersee gelangte. Diese Frage ist in doppeltem Sinne zu verstehen, nämlich einerseits was die Veröffentlichung dieses «Zufallfunds» an sich anbelangt als auch was die Überwachung der Wasserqualität betrifft.

Beginnen wir zuerst mit der Veröffentlichung. Am 28. April 2010 sollen die Bohrkerne im Auftrag von drei Forscherinnen der Universität Genf gehoben worden sein. «Monate später» erhielt die Forschungsleiterin die überraschenden Ergebnisse, wie die beiden Medien schreiben. Es gehöre zum «üblichen Vorgehen bei geologischen Messungen, dass in Sedimentkernen nach Cäsium gesucht wird».

«Monate später» dürfte kaum ein Jahr später sein, andernfalls wäre von «rund» oder «knapp» einem Jahr später die Rede gewesen. Wahrscheinlicher ist irgendein Datum gegen Ende 2010. Heute haben wir Mitte 2013, also zweieinhalb Jahre später.

Warum wird das also erst so viel später einer breiten Öffentlichkeit bekannt und dies obschon sich die Genfer Forscher gemäss Sonntagspresse «beunruhigt» über die mögliche Gefahr einer radioaktiven Verseuchung der Grund- und Trinkwasservorkommen zeigten?

Die beiden Medien erwähnen zu Beginn ihres Textes die Wissenschaftszeitschrift «Acquatic Science», in welcher die Genfer Geologen über ihren Fund berichteten. Dem online frei zugänglichen Artikel kann entnommen werden, dass dieser am 22. August 2012 eingeschickt und ein halbes Jahr später, am 22. Februar 2013, online veröffentlicht wurde.

Auch wenn die Herausgeber (wie für Wissenschaftszeitschriften häufig üblich) relativ lange für die Veröffentlichung benötigten, wundert es einen dennoch, dass die fünf «beunruhigten» Forscher diese brisanten Ergebnisse geschätzte eineinhalb Jahre zurückhielten, bevor sie einem vorwiegend spezialisierten Publikum bekannt gemacht wurden.

Immerhin reagierte Antonio Hodgers, Genfer Nationalrat der Grünen, relativ schnell und stellte am 6. März 2013 den Bundesrat im Rahmen der nationalrätlichen Fragestunde zur Rede. Er bekam am 11. März 2013 zur Antwort, dass die aussergewöhnlichen Ergebnisse mit «einem Problem bei der Probenentnahme» zusammenhingen, weshalb diese Ergebnisse nicht repräsentativ seien. Erstaunlich, dass der Bundesrat nicht einmal eine Woche Zeit benötigte um eine Antwort auf eine Unregelmässigkeit geben zu können, welche über ein Jahrzehnt zurückliegt… Immerhin lässt er Hogers abschliessend noch wissen, dass die Bevölkerung zu keinem Zeitpunkt irgendeiner Gefahr ausgesetzt war (merken Sie sich das bitte für den Schluss).

Und obschon feststand, dass zumindest teilweise auf die monatlichen Kontrollen kein Verlass ist – was bei diesem Thema an sich schon Skandalpotential hat – hat darauf niemand reagiert: Weder ein Berner National- oder Ständerat noch sonst ein lokaler oder kantonaler Politiker, weder ein Umweltverband noch die lokalen Medien. Nur die beiden eingangs genannten Medien scheinen der Sache weiter nachgegangen zu sein und haben zur Absicherung in einem anderen Labor eine Probebohrung nochmals testen lassen.

Dass auf die bundesrätliche Antwort kaum jemand reagierte, könnte zwei Gründe haben: Einerseits haben viele kein Vertrauen (mehr) in die fraglichen Kontrollen, weshalb eine gewisse Resignation vorherrscht. Was will man denn schon tun, wenn der Bundesrat nicht einmal Selbstkritik an den mangelhaften Kontrollen übt oder wenigstens darauf hinweist, was bisher unternommen wurde, um diese zu verbessern?

Andererseits dient die Fragestunde des Nationalrats heute häufig zur Pflege des Egos gewisser Nationalräte oder zum Austausch von Banalitäten. Deshalb mag kaum mehr jemand hinhören, sodass die wenigen relevanten Fragen schliesslich unbeachtet bleiben…

«Kontrollierte Abgabe» – stichprobenweise…

Kommen wir zum Thema der Überwachung selbst. Schaut man sich im Bereich «Umweltradioaktivität» auf der Website des Bundesamts für Gesundheit (BAG) um, wird einem beinahe schwindelig ob den zahlreichen Messsystemen und -methoden zum Thema Radioaktivität: 63-NADAM-Messstationen, 57-MADUK-Messstationen, RADAIR-Messnetz mit 11 Stationen, wöchentliche Überwachung und Auswertung der Luft mittels High Volume Sampler, Höhenflugfilter oder FWP-Aerosolsammler usw. Zahlreiche Messungen können online quasi in Echtzeit nachgeschaut werden, man braucht nicht einmal einen der unzähligen Jahresberichte abzuwarten um mehr über den aktuellen Stand zu erfahren.

Ähnlich sieht es beim Bundesamt für Umwelt (BAFU) zum Thema «Wasser» aus: Keine Temperaturschwankung, keine Wasserzu- oder abnahme, keine Nitrat- oder sonstige Verunreinigung bleibt unbeobachtet. Man erhält ob beiden Bundesämtern den Eindruck, dass – Pardon für die Ausdrucksweise – selbst der kleinste Furz eines Regenwurms irgendwo aufgezeichnet würde.

Doch ein Netz, welches die Strahlenbelastung des Wassers ebenso automatisch und regelmässig misst, wie das bei der Luft oder bei der Temperatur der Fliessgewässer der Fall ist, gibt es nicht. Das überrascht, schreibt doch das eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSIauf seiner Website – als wäre es die natürlichste Sache der Welt:

Flüssige radioaktive Abgaben aus Kernanlagen erfolgen in der Regel chargenweise. Das heisst, die radioaktiven Abwässer werden in Tanks gesammelt und anschliessend kontrolliert an Oberflächengewässer abgegeben.

Weiter kann derselben Quelle entnommen werden:

Im Rahmen von Inspektionen überzeugt sich das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI, dass die Abgabeüberwachung gemäss den Erfordernissen des Abgabe- und Umgebungsüberwachungsreglements durchgeführt wird. Das ENSI und das Bundesamt für Gesundheit BAG erheben zudem stichprobenweise Proben und führen eigene Messungen durch, um die Messverfahren der Werke zu überprüfen.

Das heisst, das ENSI überwacht vorwiegend, dass richtig überwacht wird, denn «die Messungen selbst werden von verschiedenen Labors und Messstellen von Bund, Kantonen und Betreibern durchgeführt», wozu in bescheidenem Rahmen auch das ENSI zählt.

Widersprüchliche Aussagen zu aktuellen (!) Messdifferenzen

Gemäss Strahlenschutzbericht 2012 wurde seitens ENSI im vergangenen Jahr gerade einmal pro Halbjahr eine Abwasserprobe genommen. Obschon das also nur sehr selten der Fall ist, wurde dass ENSI in Mühleberg fündig:

«Die (…) Kontrollmessungen (…) zeigten bis auf eine Abwasserprobe, die im 3. Quartal erhoben wurde, Übereinstimmung mit den Werten des KKM. Abklärungen ergaben, dass die unterschiedlichen Messwerte höchstwahrscheinlich auf unterschiedliche Probenaufbereitungen im KKM und im ENSI zurückzuführen sind. Das KKM wurde aufgefordert, die Probenerhebung, Probenaufbereitung, Probengeometrie und Anforderungen an die Messkette zu überprüfen und zu verbessern.»

Interessant ist, dass das BAG dieser Aussage in ihrem Jahresbericht 2012 zur Umweltradioaktivität widerspricht:

«Die Behörden haben die Messverfahren der Kernanlagen mit über 170 Proben kontrolliert. Dabei wurden Aerosol– und Jodfilter sowie Abwasserproben stichprobenweise analysiert. Die Ergebnisse stimmen überein und zeigen, dass die Abgabereglemente eingehalten werden.»

In der gestrigen Tagesschau erklärt uns der BKW-Sprecher Antonio Sommavilla: «Wir haben alle Grenzwerte selbstverständlich eingehalten in allen Jahrzehnten».

Rekapitulieren wir das alles einmal:

  • Regelmässig wird radioaktives Wasser in jenen See gelassen, aus dem zehntausende Anwohner ihr Trinkwasser beziehen.
  • Trotzdem gibt es kein unabhängiges, automatisches Messsystem, welches regelmässig die Konzentration an Radioaktivität von Fliessgewässern misst.
  • Letzteres wird von den Betreibern gemessen, währenddem alle anderen Messungen (Luft, Boden, Lebensmittel usw.) von staatlichen Organen gemessen werden.
  • Das ENSI überwacht nur, dass die AKW-Betreiber richtig messen. Dabei ergab im 2012 eine von zwei jährlich durchgeführten Stichproben, dass die AKW Mühleberg-Betreiberin auch nach 40 Betriebsjahren nicht richtig messen kann.
  • Allerdings: ENSI und BAG sind sich hinsichtlich Ergebnisse der Abwasser-Kontrollmessungen nicht einig, sondern widersprechen sich.
  • Obschon keine konsequente Überwachung des Wassers bezüglich Radioaktivität besteht, also obschon niemand so genau weiss, wann, wer, was in welcher Konzentration die Aare hinunterlässt, behaupten BKW und Bundesrat: Es hat für die Bevölkerung nie eine Gefahr bestanden.

Glauben Sie noch immer, dass es den Osterhasen nicht gibt? ;-)


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